zu seinen Arbeiten
   
           
      




Meinen Arbeitsschwerpunkt als Künstler würde ich auf dem Gebiet der künst-
lerischen Beobachtung, Sammlung, Archivierung, Kategorisierung und exper-
imenteller Erforschung diverser Medienformate sehen. Dabei spielen ästhetische,
transiente, raum- und zeitbezogene Praktiken eine zentrale Rolle und resultieren
haptisch in der Errichtung temporärer Laboratorien. Diese weisen das Format von
künstlerisch-medialen Rauminstallationen auf und werden - bevorzugt in semi-
performativer und interaktiver Weise - im internationalen Ausstellungskontext
gezeigt und betrieben. (Molekular-) biologische und politikrelevante Themen,
wissenschaftliche Formalismen, Klonierungen, Rekombinationen,
Wachstumsprozesse, Akkumulation von Informationen und Objekten,
Feldversuche und weitere Themen spielen in meinen Projekten eine zentrale
Rolle. Mediale Artefakte versuche ich bevorzugt mit künstlerischen Strategien,
jedoch auch mit erlernten wissenschaftlichen Methoden, gestalterisch und
ästhetisch zu strukturieren, und bewege mich dabei auf den feinen Grenzen
zwischen Chaos und Ordnungen.


Klaus Fritze, 2007




Mit Präzision sind in Klaus Fritzes künstlerischen Laboratorien die Dinge ge-
ordnet, obwohl der Fülle des Materials erst einmal etwas Chaotisches anhaftet.
Er ist nicht nur Künstler, sondern auch Biologe mit langer Forschungserfahrung.
In vielen seiner Arbeiten tauchen eremitenhaft abgeschlossene Pflanzen in
Gläsern oder Petri-Schalen auf - oft in großer Zahl -, die er im Laboratorium
unter kontrollierten Bedingungen heranzieht und vom Samenkorn über ihr

Heranwachsen bis zu ihrem Altern und Vergehen im Glas zur Schau stellt.

Es gibt eine Unmenge Zeitungsausschnitte: Bilder, Textfragmente, einzelne
Wörter; auf Plastikgabeln, in durchsichtigen Probenbehältern, an Schnüren, in

den Sand gesteckt. Jeder erdenkliche Platz scheint von ihnen besetzt. Auf einem
Tisch finden sich all die Dinge, die zeigen, was vonstatten geht: Ein Sammelnder
frönt seiner Leidenschaft; er scheint aber auch ihrer Herr werden zu wollen, denn

hier hat er alles, was er dazu braucht: Scheren, Tüten, Gabeln, Dosen, Schübe,
Büro- und Wä
scheklammern, um Ordnung in seinen Sammlungsgegenstand
bringen zu können, und natürlich jede Menge Zeitungsausschnitte, die sortiert
werden sollen.Es ist, als hätte er nur kurz seine Arbeit unterbrochen, den Kittel
abgestreift und den Raum verlassen; sogar das Licht brennt noch...

Kann es je eine fertige Sammlung geben; ist nicht vielmehr der Prozeß des
Sammelns gerade ihr Charakteristikum, der Erkenntnisgewinn des Sammelnden
und seine Lust daran, die Sammlung zu vergrößern und Neues zu entdecken?
Die Leidenschaft des Sammelns, das Manische, das einsiedlerische Sich-Ab-
schließen von der Außenwelt, das Prozeßhafte, Temporäre, das Klaus Fritze vor-
führt, ist wissenschaftlichem Arbeiten immanent: das Horten, Ordnen, Beob-
achten, Benennen, Kategorisieren, das Verändern, Hinzufügen, Pflegen, das Ex-
trahieren, Analysieren und Dokumentieren; aber auch der Zufall, der zu Neuem
führen kann. Klaus Fritze beschrieb es einmal so, daß er keine Zeitung in den
Papierkorb werfen konnte, bevor er sie nicht gründlich auf brauchbares Material
untersucht hatte und mit der Schere tätig geworden war.

Das Unvollendete betrifft nicht nur die Sammlung an sich; zur Installation ge-
hörig finden sich z. T. Bretter, Balken, Fenster, Türen; sie lehnen oder
liegen gestapelt in der Installation für eine weitere Verwendung oder den Ab-
transport. Sie sind Teil des außerhalb der Abgeschlossenheit der Studierstube
liegenden Alltags, der hier nebensächlich ist; sie scheinen nicht einmal zu
stören; hier gilt es, sich auf Wichtiges zu konzentrieren, anderes muß warten.

Die Schnittstelle seiner wissenschaftlichen Arbeit als Biologe und der "Dissektion
von Medien - am liebsten Tageszeitungen - bildet vielleicht der Begriff der
Information in seiner ganzen subjektiven Komplexität; in der Biologie, vorge-
stellt als Fäden, die aufgerollt bis Mars oder Merkur reichen könnten, auf ausge-
dehnten Makromolekülketten aus Protein und DNS materialisiert, die ein Endbild
bzw. den sogenannten Phaenotyp determinieren, in den Printmedien adaptiert
und geformt aus rechts oder links ausgerichtet Buchstabenketten: Wörtern,
Sätzen, klugen und einfältigen Texten, die in Fusion mit großen oder kleinen
Ikonographien einen vermeintlichen Sinn oder seine Suche danach codieren..."
(Klaus Fritze in einer Mail an die Verf.)

Voller Ironie, Poesie und Skurrilität zeigt Fritze die Manie des Sammelns, den
Kampf mit der Fülle und dem Chaos der Information, den Willen, Breschen in
diesen Urwald zu schlagen, die eigene Welt zu strukturieren und damit für sich
verstehbar zu machen. Dafür sucht er sich beispielsweise besonders einfache
Bilder aus, sogenannte Einspalter und Halbspalter, die er zu Gruppen ordnet und
ausstellt ("zur Exposition bringt", Klaus Fritze), etwa Linksblicker, Brillen- und
Bartträger, "Händer" und "Händerinnen" (Klaus Fritze). Einfache Modelle werden
in der Wissenschaft gewählt, weil ein Modell größerer Komplexität die Sicht ver-
stellen würde und somit zur Klärung bestimmter Phänomene nicht beitragen
könnte.

Doch selbst die Einspalter und Halbspalter lassen viele Möglichkeiten zu. So wer-
den durch Klaus Fritzes Art des Kategorisierens und des Ordnens, das bei genau-
erer Betrachtung immer wieder anders ausfällt, jedes Mal neue Bezüge herge-
stellt, neue Ordnungskriterien entwickelt, Begriffe geklärt, Präsentationsmög-
lichkeiten erwogen und ausprobiert. Er erfährt dabei immer mehr über seine Welt,
er vergrößert sein Wissen. Es tauchen im Laufe dieser Arbeit aber stets neue
Fragen auf, zusätzliche Gesichtspunkte werden entdeckt, andere Blickwinkel kom-
men hinzu. Es ist wie ein Kampf gegen Windmühlenflügel, der nicht zu gewinnen
ist. Selbst die einfachsten Dinge führen ihn in ein Dickicht aus Unklarheit und
Nicht-Wissen. Je weiter er vorzudringen glaubt, desto undurchdringlicher scheint
es zu werden und desto klarer tritt ihre Komplexität hervor.


Heidrun Quinque-Wessels, 2008/2013